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 Pilgerfahrt

Für Hindus ist die Pilgerfahrt (Jatra) ein solch wichtiger Bestandteil ihrer religiösen Praxis, daß fast jeder Ort in Indien als heilig genug gelten kann, um ein Pilgerzentrum zu sein. Hindus können die Zahl der Pilgerstätten (Tirthas) zwischen 58 und 64000 ansetzen, je nachdem, ob sie nur Hauptorte wie Varanasi (Benares) und Hardwar zählen oder lokale und wenig bekannte Stätten einschließen. Für im Ausland lebende Hindus könnte selbst ein Besuch in Indien als Jatra gelten.

Den Hindus heilige Orte liegen meist an Flußufern, Küsten, Stranden und auf Bergen. Schnittpunkte zwischen Land und Wasser, zwei oder besser noch drei Flüssen nehmen gewöhnlich eine heilige Bedeutung an. Durch einen historischen oder legendären Zusammenhang kann ein Ort zusätzliche Wichtigkeit haben. So ist Varanasi der Ort, wo der Gott Shiva erschien und als Asket lebte - obwohl es auch mit Rama in Verbindung steht, einer Inkarnation Vishnus.

Bei Kurukshetra im Nordwesten, einem Vishnu geweihten Ort, wurde die große im Mahabharata beschriebene Schlacht geschlagen. Gemäß einem alten Text war Kurukshetra ursprünglich »der heilige See Brahmas«. Später wurde er von einem Seher namens Guru umgepflügt, wodurch er als Kurukshetra, Kurs Acker, bekannt wurde. Der Text sagt weiter, daß wer immer sich an Kurukshetra erinnert, innerlich und äußerlich gereinigt ist, egal, ob er rein oder unrein ist.

Besondere Zeiten können Pilger anziehen. Das Datum des großen Kumbha-Mela-Fests, das an vier verschiedenen Schauplätzen abgehalten wird, wird astrologisch bestimmt, und teilnehmende Pilger schätzen die verheißungsvolle Zeitplanung der Pilgerfahrt so hoch ein wie den Ort. Auch wird jedes Jahr zur Zeit des Dassera-Fests im Oktober/ November die Geschichte des Ramajana in einem 30tägigen Zyklus dargestellt. Und Besucher von Vrindavan und des mit Krsna verbundenen Umlands hoffen, besonders an seinem Geburtstag oder beim mit der Tag- und Nachtgleiche im Frühling zusammenhängenden Holi-Fest, auf eine Vision des mit seinen Freundinnen, den Gopis (Kuhhirtinnen), herumtollenden Krsna.

Viele Hindus unternehmen eine Pilgerfahrt durch ganz Indien mit dem Zug. Die Reise dauert etwa zehn Wochen, je nachdem, wie lange die Pilger an jedem Ort bleiben. Zu den Höhepunkten gehören der See bei Puschkara, was »blaue Lotosblume« bedeutet, wo der einzige übriggebliebene Tempel für Brahma, den Schöpfer, sein soll; Puri, berühmt für seinen Dschagannath-Tempel - der Titel Vishnus als »Weltenherr«; der Tempelkomplex in Kanchipuram; und Rameswaram an der Südostspitze des Landes. Hier rief Rama in dem epischen Gedicht Ramajana die Hilfe Shivas gegen Rawana herbei, der seine Frau Sita in Sri Lanka gefangenhielt.

Es gibt auch moderne Tirthas, z. B. den Ort am Ufer des Dschamna in Delhi, wo Mahatma Gandhi verbrannt wurde. Dorthin führt man Staatsoberhäupter, und tagtäglich legen Hunderte Hindus ihre Blumengirlanden hier ab.

Eine Pilgerfahrt kann ein großer "Gleichmacher sein". Im Ganges werden die Reinen noch reiner gemacht, und die Verunreinigung der Unreinen wird wenigstens zeitweise aufgehoben. Im heiligen Wasser, und vielleicht überall in den heiligen Städten Varanasi und Hardwar, sollen die Kastenunterschiede nichts gelten. Hindus mögen die Kaste für eine göttliche Setzung halten, aber sie hat keine ewige Bedeutung, und man glaubt, daß der ernsthafte Pilger zumindest für die Zeit der Pilgerfahrt in die Ewigkeit eintritt. Der Wert einer Pilgerfahrt hängt davon ab, wie sie von dem Anbetenden betrachtet wird. Manche Hindus meinen, daß sich das Verdienst aus der zurückgelegten Entfernung, dem Transportmittel (zu Fuß ist die beste Methode), der verheißungsvollen Zeitplanung, der Heiligkeit des Ortes selbst und dem Zweck der Pilgerfahrt ergibt.

Während die meisten Hindus die Pilgerfahrt in Ehren halten, stellen einige ihren Wert in Frage, indem sie argumentieren, daß wahre Pilgerschaft die innere Reise der Seele sei. Ramprasad Sen, ein Verehrer der Göttin Kali im 18. Jahrhundert, sagte: »Was habe ich mit Varanasi zu tun? Kalis Füße sind mir Pilgerorte genug. Wenn ich tief im Lotos meines Herzens über sie meditiere, schwebe ich auf dem Ozean der Glückseligkeit.«

Dem muß die Erfahrung von Hindus, die eine wahrhaft innerliche Pilgerfahrt erfolgreich mit einer Reise nach Varanasi verbunden haben, entgegengesetzt werden. Die Heiligkeit dieser heiligsten aller Hindustädte wird in einer alten Schrift, Kaschi Khanda genannt, zusammengefaßt: »Gibt es nicht viele Flüsse, die ins Meer fließen? Doch welcher von ihnen ist wie der Himmelsfluß in Kaschi [Varanasi]? Gibt es nicht viele Gebiete der Befreiung auf der Erde? Doch keines kommt dem kleinsten Teil der Stadt gleich, die niemals von Shiva verlassen worden ist.«

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